Liebe
Leserin, lieber Leser,
die
Bundesregierung drängt immer mehr darauf, dass wir nicht mehr per Post
an
unsere Ämter schreiben, sondern auf elektronischem Weg. Doch das
bevorzugte
De-Mail-Verfahren ist umstritten. Was glauben Sie, wie die Regierung
für unsere
Sicherheit
im elektronischen Datenverkehr sorgt? Können wir uns auf unsere
gewählten
Experten verlassen?
Schauen
wir uns zum Vergleich ein paar andere Berufsgruppen an:
Was dem Handwerker
nicht
passt, das macht er sich passend. Manche Leute nennen diese
Vorgehensweise
schludrig, andere pragmatisch. Auf jeden Fall bietet sie viel Potenzial
für
Witze und Sketche.
Völlig
schmerzfrei arbeitet der Wirtschaftswissenschaftler:
Was er nicht erklären kann, setzt er als gegeben voraus. In seinen
Rechnungen
schleppt er ominöse Konstanten mit sich herum, die sich vielleicht
Jahrzehnte
später jemand genauer anschaut - und alles Bisherige über den Haufen
wirft.
Keinerlei
Schludrigkeit, sondern die höchste Kunst des Pragmatismus findet man
beim Mathematiker:
Was ihm
nicht passt, das definiert er sich so, wie er es braucht. Zumindest aus
der
Sicht von Menschen, die wenig Ahnung von den hohen Theorien haben und
gerne den
folgenden Witz erzählen: "Wie umzäunt ein Mathematiker eine Herde
Rinder?
Er wickelt sich in Stacheldraht ein und definiert sich selbst als
draußen."
Ein
letztes Beispiel aus dem Kuriositätenkabinett, bevor es wirklich
ärgerlich
wird: Die Europäische
Union hatte vor vielen Jahren Möhren als Obst
eingestuft, damit
die Portugiesen weiterhin ihre Möhrenmarmelade
vertreiben durften. Denn Marmelade wird laut Definition aus Obst
hergestellt,
nicht aus Gemüse, und es wäre ja ein hirnverbrannter Gedanke, die
selbstgewählten Regeln für Marmelade zu ändern, statt mit
Nahrungsmitteln zu
jonglieren.
Wenn sich
der Postbote Ihre Steuererklärung anschaut
Unsere
Bundesregierung vereinigt alle Eigenschaften aus diesen vier Beispielen
auf
sich:
- mangelnde
Gründlichkeit und/oder Unlust, rechtzeitig einen Zollstock anzulegen,
- Unwissenheit,
- Realitätsferne,
- blinde
Sturheit und/oder Mauschelei.
Denn das
De-Mail-Verfahren ist alles andere als sicher. Normalerweise
verschlüsselt der
Absender seine Nachricht und nur der Empfänger besitzt den Schlüssel
zum
Öffnen. Bei De-Mail jedoch öffnet erst der Dienstanbieter die
Nachricht, prüft
sie, verschlüsselt sie wieder und leitet sie danach an den Adressaten
weiter.
Oder an den nächsten Dienstleister, der ebenfalls reinschaut. Das sei
ein
bisschen, als öffne die Deutsche Post alle Briefe unterwegs, um
nachzusehen, ob
nichts Gefährliches darin stecke, schrieb Spiegel Online vorige Woche
zu diesem
Thema.
Alles
steht und fällt mit den Absichten desjenigen, der auf die
entschlüsselte
Nachricht zugreifen kann. Wie vertrauenswürdig sind Institutionen und
Unternehmen, die aus Menschen bestehen? Bei der Schneckenpost kann das
Finanzamt wenigstens am Umschlag erkennen, ob sich der Briefträger
unterwegs
die Steuererklärung seines Chefs reingezogen hat oder nicht.
Wie will
die Bundesregierung nun dieser Unsicherheit begegnen? Indem Sie auf
Fachleute
hört? Das Verfahren überdenkt? Natürlich nicht. Sie schreibt
schlichtweg
"sicher" drauf. Per Gesetz. Derzeit wird über einen Absatz diskutiert,
wonach De-Mail trotz der Entschlüsselung nicht gegen das
Verschlüsselungsgebot
verstößt.
Wenn einem
nichts Besseres einfällt, muss man halt mit den Begriffen jonglieren
und sich
die Wirklichkeit zurechtbiegen. Genau das
mache ich jetzt auch: Ich erkläre hiermit Schnee zu grünem Gras, Wolken
zu
Sonne, Rentiere zu Osterhasen - und wünsche Ihnen mit diesen ein paar
freundlich-frühlingshafte Festtage.
Herzlichst,
Ihr
Lutz
Schumann
Chefredakteur
und Herausgeber www.steuer-schutzbrief.de